Seit Corona sind wir alle mit Viren vertraut. Winzige Gebilde, die man mit dem bloßen Auge nicht sehen kann, und die nach einer Infektion sich in einem geeigneten Wirt vervielfältigen und Krankheiten hervorrufen. Während Viren, wie der Tabakmosaikvirus, das erste Mal vor 150 Jahren aus Pflanzen isoliert wurden, kennen wir erst seit 50 Jahren einen noch kleineren Erreger.
Das Viroid - ein unfassbarer Fall
Mit einem 80- bis 100-fach kleineren Aufbau als Viren sind Viroide („Virusähnliche“) nochmal deutlich winziger. Wie Viren dringen sie in Wirtszellen ein und kapern deren zelluläre Mechanismen, um ihre eigenen Gene anstelle der zelleigenen Gene vervielfältigen zu lassen. Gene bestehen aus Nukleinsäuren: Ribonukleinsäuren (RNA) oder Desoxyribonukleinsäuren (DNA); mit Ausnahme der Viroide und einiger RNA-Viren bestehen alle Gene aus DNA. Der Unterschied zwischen Viroiden und RNA-Viren besteht jedoch darin, dass Viroide keine schützende Proteinhülle haben. Zusammengefasst bestehen Viroide trotz virusähnlichen Verhaltens ausschließlich aus einem ringförmigen RNA-Einzelstrang.
Bis zu ihrer Entdeckung in den 1970er-Jahren galt in der Wissenschaft das Dogma, dass eine Struktur ohne Proteine grundsätzlich nicht zur Replikation fähig sei – selbst nicht mit Hilfe einer Wirtszelle. Es war außerdem nicht vorstellbar, dass ein Erreger so klein und trotzdem infektiös sein könnte. Doch das Viroid sprengte alle diese Vorstellungen. Endlich konnten Forschende bekannte Pflanzenkrankheiten erklären, die nicht auf Virentests ansprangen und doch einen ähnlichen Verlauf hatten.
HPLVd - eine unerkannte Pandemie
Viroide wurden seit ihrer Entdeckung in unterschiedlichsten Pflanzen weltweit nachgewiesen. Circa 50 verschiedene Viroide sind beschrieben, isoliert von Apfel und Kartoffel bis Avocado und Zitrone. Dabei bevorzugen Viroide bestimmte Wirtspflanzen und können einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden ausrichten.
In 2014 trat im professionellen Cannabis-Anbau vermehrt ein Krankheitsbild auf, das als „Dudding Disease“ (von englisch dud, Blindgänger) bezeichnet wurde. „Dudding“ ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für eine Vielzahl von Symptomen, zu denen Wuchsverlust, Verkümmerung, Ertragsminderung, Verringerung der Wirkung und Veränderungen der Morphologie gehören. Ein möglicher Link wurde 2017 zu einem Viroid gefunden und bestätigt - dem Hopfen-latent Viroid (HPLVd).
In 2021 erschüttert dann eine Studie aus Kalifornien die Grow-Szene. Heimlich, still und leise hat das Hopfenlatent Viroid (HPLVd) sich ausgebreitet. Die groß-angelegte Messkampagne weist nach, dass 90% der Cannabispflanzen befallen sind. Es wird geschätzt, dass der Ernteausfall sich auf über drei Milliarden Euro (3 650 000 000 €) beläuft. Eine andere Studie weist es in Kanada nach. 40% der angebotenen Cannabisblüten in Apotheken testen positiv auf HPLVd. Zwar ist HPLVd nach aktuellem Stand ungefährlich für Konsumenten, aber für den Anbau kann der finanzielle Ausfall durch den Ausbruch verheerend sein.
In Europa wurde HPLVd vor allem in Hopfen nachgewiesen, wohingegen zu Cannabis bisher keine wissenschaftlichen Daten veröffentlich wurden. Jedoch sollte der Nachweis von HLVd in Hopfen, auch in Deutschland, wie beispielsweise in der Hallertau schon im Jahr 1988, als Warnsignal für alle Grower in Deutschland dienen. HPLVd weilt schon längst unter uns.
Die Auswirkungen von HLVd auf den Ertrag und die Qualität von Cannabis können gravierend sein, während der Befall vor dem Ausbruch mit dem bloßem Auge nicht erkannt werden kann. Es ist nun unerlässlich, dass Cannabisanbauer in Europa ihre Anbaumethoden verbessern, um im sich expandierenden Cannabismarkt erfolgreich zu bleiben. Die Legalisierung läßt hoffen, dass wissenschaftliche Studien dazu auch hierzulande initiiert werden, um Klarheit zu schaffen, wie kritisch das Problem hierzulande ist. Ein Pluspunkt ist jedoch, dass die Entkriminalisierung von Cannabis und die nun offene Diskussion zu dem Thema nun eine größere Reichweite hat und damit auch besser aufgeklärt werden kann - auch zu Pflanzenkrankheiten.
Nicht verwechseln sollte man HPLVd mit einem zweiten Viroid, das die Familie der Hanfgewächse befällt. Zwar ruft es ähnliche Symptome hervor, allerdings wurde das Hopfenstauche-Viroid (HSVd) bisher nur in Hopfen nachgewiesen.
1. Hopfenstauche-Viroid (englisch Hop stunt viroid, Abk.: HSVd, Spezies Hostuviroid impedihumuli). Von den Hanfgewächsen wird nur Hopfen befallen, es kann aber auch in Zitruspflanzen, Weinreben, Gurken und Steinobst wie Pflaumen vorkommen. Wie der Name schon sagt verursacht ein Ausbruch ein gestauchtes Wachstum, geringe Ernte und bei Hopfen auch veränderte Zusammensetzung der Wirkstoffe.
2. Hopfenlatent-Viroid (englisch Hop latent viroid, Abk.: HpLVd, HLVd, seltener auch HPLV oder HLV Spezies Cocadviroid latenshumuli). Von den Hanfgewächsen werden neben Hopfen und Japanischem Hopfen (Humulus japonicus) auch Cannabis und Hanf befallen. Die Große Brennnessel (Urtica dioica) ist eine weitere natürliche Wirtspflanze. HLVd-Infektionen führen bei Cannabis und Hanf zu gestauchtem Wachstum („Dudding Disease“), verkürzten Internodien, brüchigen Stängeln, Chlorose sowie einer reduzierten Bildung von Blüten und Trichomen. Gleichzeitig sinken Ertrag sowie Gehalt an Cannabinoiden und Terpenen teils erheblich. Bei Hopfen hingegen zeigen infizierte Pflanzen oft keine offensichtlichen Symptome, doch kommt es zu vermindertem Ertrag, reduziertem Gehalt an Inhaltsstoffen.
Viroide konnten auch in wirtsfremden Pflanzen nachgewiesen werden, allerdings konnten sie sich in deren Zellen nicht oder schlechter reproduzieren. In experimentellen Studien konnte HLVd zudem Tomaten (Solanum lycopersicum), Gurken (Cucumis sativus), Chrysanthemen (Chrysanthemum), Nicotiana benthamiana und Arabidopsis thaliana infizieren. Allerdings ist bislang unklar, ob diese in natürlichen Bedingungen als Wirte für HLVd dienen oder als Reservoir für das Viroid fungieren können.
Viele Wege können zum Viroid-Befall führen
Da Viroide wie anfangs erwähnt keinen Stoffwechsel haben und weder Energie erzeugen noch speichern können, werden sie passiv in der Umwelt transportiert. Bisher ist bekannt, dass Viroide durch mechanische Beschädigung, Samen, Pollen, vegetative Vermehrung oder biologische Vektoren verbreitet werden können.
Vegetative Vermehrung beschreibt zum Beispiel Stecklinge. Generell gehören dazu aber alle Pflanzenteile, die zur ungeschlechtlichen Vermehrung von Pflanzen dienen. Sie tragen das genetische Material der Pflanze und können auch Viroide übertragen, wenn die Mutterpflanze infiziert ist. Gleichzeitig sind Zuchten aus in vitro Kulturen bisher die einzige Möglichkeit das Viroid aus befallenen Pflanzen zu eliminieren.
Biologische Vektoren sind lebende Organismen, wie vor allem Insekten oder selterner parasitäre Pflanzen, die Viroide von einer Pflanze auf eine andere übertragen. Obwohl sich Viroide nicht im Inneren dieser Vektoren vermehren, können sie dennoch über ihre Mundwerkzeuge oder Körperoberflächen bei der Nahrungsaufnahme oder bei Kontakt übertragen werden.
Für Cannabispflanzen sind hauptsächlich Stecklinge, mangelnde Hygiene (verunreinigtes Werkzeuge, Behälter oder Hände), sowie Blattläuse die typischen Routen über die HPLVd verbreitet wird. Die Datenlage zu Samen und Pollen ist bisher eher dünn oder widersprüchlich. Es gibt aber Hinweise, dass beide Routen möglich sind.
Den Befall minimieren - „better be safe than sorry“
Ist eine Pflanze einmal befallen, bleibt sie ein Leben lang Träger des Viroid. Selbst wenn kein Ausbruch beobachtet wird, das heißt die Pflanze keine Symptome zeigt, kann sie trotzdem infiziert sein. Daher wird eine Viroid-Infektion als persistent bezeichnet (von lateinisch persistere „verharren“). Bei einem Ausbruch der Krankheit gelangen Kopien des Viroids dann über die Leitbahnen in alle Teile der Pflanze, weshalb der Befall als systematisch bezeichnet wird. Im Endstadium kann das Viroid von den Wurzeln bis in die Blättern im gesamten System nachgewiesen werden. Für ein effektives Krankheitsmanagement ist es dann zu spät, da Viroide und Viren nicht direkt zu bekämpfen sind.
Bisher bleibt der einzige sicher Weg für gesunde Pflanzen eine Kombination aus Prävention durch strenge Hygienemaßnahmen und regelmäßiges Testen. Bei nachgewiesenem Befall bleibt nur Ausschluss befallenen Pflanze(n), deren Vernichtung und weitere Test für die verbleibenden Pflanzen im drei Wochen Rhythmus. Auch Überreste von befallenen Pflanzen können weiterhin ansteckend sein!
Obwohl RNA im Allgemeinen als instabil gilt, sind Viroide eine Ausnahme. Sie bestehen aus nackter RNA, die sich jedoch zu einer stabilen, stäbchenförmigen Struktur zusammenfaltet – ähnlich wie zwei fest miteinander verhakte Klettverschlüsse. Diese sogenannte doppelsträngige RNA ist ungewöhnlich widerstandsfähig und kann selbst unter widrigen Bedingungen überdauern. Studien zeigen, dass Viroide auf Oberflächen länger als 24 Stunden infektiös bleiben, bis zu sieben Wochen in Wasser und sogar Monate bis Jahre in getrockneten Pflanzenresten und Samen. Um eine Ausbreitung effektiv zu verhindern, ist eine gezielte und konsequente Sterilisation daher unerlässlich.
Als zuverlässig wirksam hat sich handelsübliches Haushaltsbleichmittel (Natriumhypochlorit, 5,25 %) erwiesen. Um eine Kontamination mit Viroiden zu entfernen, sollten Werkzeuge mindestens 60 Sekunden lang in einer verdünnten Bleichlösung (ein Teil Bleichmittel auf neun Teile Wasser) eingeweicht werden. Beim Beschneiden kann es hilfreich sein, mehrere Scheren im Wechsel in der Lösung zu desinfizieren, um einen effizienten Arbeitsablauf zu gewährleisten.
Unwirksam gegen Viroide sind hingegen Alkohol - unabhängig von der Konzentration - sowie Wasserstoffperoxid. Auch eine Hitzesterilisation bietet keinen hundertprozentigen Schutz.
Autor: Laura-Fabienne Fröhlich M.Sc.
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